«ORIENTierung. Irak im Dialog»
Jeremy Deller vor seiner Arbeit ’Baghdad, 5 March 2007’, Von einem Anschlag auf eine Markt in Bagdad zerstörtes Auto
Ein dialogisches Format über den Irak und seine Kultur zu Zeiten des Irakkrieges. 14.-19. April 2003, Schauspielhaus Bochum, Leitung Thomas Oberender, in Zusammenarbeit mit dem Verein Dialog Orient-Okzident Köln, dem LSI-Arabicum und Magda Barakat vom Landesspracheninstitut NRW in Bochum.
Die Reihe «Orientierung. Irak im Dialog» unternimmt den Versuch, sich während des Irakkrieges der Kultur und Kunst des Irak anzunähern, um dieses Land mit anderen Augen zu sehen. In einer Folge von Filmen, einem Konzert und Lesungen suchen wir in Zeiten des Krieges nach Möglichkeiten der Begegnung und künstlerischen Erfahrungen. Eingeladen sind Experten und Künstler, die im Zusammenhang der Veranstaltung Fragen beantworten und Erklärungen geben.
1. »Forget Baghdad» Ein preisgekrönter Film von Samir, ein historischer Essay, eine brisante Debatte, eine kunstvolle Montage und ein Grund zur Hoffnung. Schweiz/Deutschland 2002, 110 Minuten. Zum Inhalt: Jüdische Araber? Arabische Juden? Sephardim? Mizrahim? Samir erzählt von einer lang vergessenen Geschichte aus dem Nahen Osten: der Emigration irakischer Juden nach Israel. Erst seit wenigen Jahren findet in Israel eine lebhafte Debatte statt: Intellektuelle Mizrahim, orientalische Juden, kritisieren die Politik der Entfremdung und Instrumentali-sierung der arabischen Juden durch die kolonialen Ansprüche der europäisch geprägten Gründergeneration Israels. Samir, selbst Kind irakischer Einwanderer in die Schweiz, befragt fünf prominente arabische Juden irakischer Herkunft mit Wohnsitz in Israel und New York: Ella Shohat, Filmhistorikerin in NYC, Shimon Ballas, Professor für arabische Literatur und Bürgerrechtler, Sami Michael, Bestseller-Autor, Moshe Houri, Bauunternehmer, und Samir Naqash, preisgekrönter Autor unveröffentlichter arabischer Romane. Vier einstige irakische Kommunisten erinnern sich an das Leben in Baghdad, die revolu-tionäre Politik der 40er und 50er Jahre, und den demütigenden Empfang in Israel. Ella Shohat erzählt von ihrer Kindheit als «stinkende Iraki» in Israel und analysiert die Klischees von Orientalen und arabischen Juden in alten Filmen.
Peter Wien, geboren 1973 in Koblenz, Studium in Mittlerer und Neuerer Geschichte und Semitistik an der Ruprecht-Karls Universität Heidelberg, 1996-1997 Studium und Praktika in Ägypten, Syrien und Libanon. 1999 bis 2000 am St. Anthony’s College der Universität Oxford, Modern Middle Eastern Studies. Seit 2001 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum Moderner Orient in Berlin
2. Irak und der Krieg – zwei Dokumentarfilme: «Hidden Wars of Desert Storm» und «Irakische Frauen - Voices from Exile»
Hidden Wars of Desert Storm, Dokumentarfilm, USA 2000, 64 min., OmU. Regie: Gerard Ungermann, Audrey Brohy. Zum Inhalt: Warum haben die USA 1991 Krieg gegen den Irak geführt und ein Jahrzehnt lang auf Sanktionen bestanden, die vor allem die irakische Bevölkerung belasten? Der Film schildert den schwierigen Alltag der Menschen im Irak heute ebenso wie die Schäden durch Uranmunition und andere Giftstoffe, die die USA im Krieg einsetzten. Er zeigt die katastrophalen Folgen dieses heimlichen «kleinen Atomkrieges» für die BewohneriInnen des Südirak ebenso wie für die US-SoldatenInnen.
Irakische Frauen - Voices from Exile, Dokumentarfilm, GB 1994, 54 min., Om.engl. U., Regie: Maysoon Pachachi. Zum Inhalt: Irakische Frauen, die in Großbritannien leben, beschreiben die Geschichte des Irak aus ihrer Sicht: von der Zeit vor der Diktatur Saddam Husseins bis zum Golfkrieg 1991. Das gibt ihnen die Chance, ihre eigenen Geschichten zu erzählen und trägt zur kritischen Auseinandersetzung der IrakerInnen mit sich selbst bei. Der Film enthüllt auch, wie Krieg die sozialen und kulturellen Beziehungen verändert.
3. Ud-Konzert von Raed Khoshaba
Raed Khoshaba wurde in Bagdad geboren. Am dortigen Institut für Musik schloss er sein Studium der Musik, insbesondere der Ud, ab. Später erlangte er einen weiteren Studienabschluss im Fach Musikwissenschaften. Er war ein Schüler des Ud-Virtuosen Munir Bashir und hatte auch Gelegenheit, in dessen Band mitzuspielen, die in den späten achtziger Jahren weltweit tourte. Sein handwerkliches Können und sein unverwechselbarer Stil machen ihn zu einem der bekanntesten Ud-Spieler in der arabischen Welt. Darüber hinaus komponiert Shammon zahlreiche eigene Werke für sein Instrument, aber er greift auch auf traditionelle Weisen zurück, die er auf eindrucksvolle Art mit zeitgenössischen Themen zu verbinden weiß.
Die Ud (von arab. al’Ud= das Holz) gehört zur Familie der Kurzhalslauten und ist das wichtigste Instrument der klassisch arabischen Musik. Sie ist der unmittelbare Vorläufer der europäischen Laute. Der größte Unterschied zur Laute ist das Fehlen von Bünden, die klassischen Ud-Kompositionen sind deshalb einstimmig, oft mit Pedaltönen zur Erzeugung einer sukzessiven Mehrstimmigkeit. Das freie Intonieren erlaubt das Spielen von Mikrointervallen, charakteristisch sind auch Glissando-Effekte. Die arabische Musik folgt dem Kompositionsprinzip des Maqam. Maqamat sind melodische Modelle, auf denen die Struktur der arabischen, persischen und türkischen Musik basiert. Die Grundtöne werden als eigene Klangeinheiten betrachtet, von denen wiederum unterschiedliche Maqamat ausgehen. Von den ursprünglich über 500 Maqamat der klassisch arabischen Musik sind heute noch etwa 30 in Gebrauch.
4. Martin Rentzsch liest «Willkommen in Bagdad. Eine Reise in das Bagdad Saddam Husseins.» Zu Gast ist der Autor und Islamwissenschaftler Michael Lüders
Michael Lüders, geb. 1959 in Bremen, Studium der arabischen Literatur in Damaskus, der Islamwissenschaft, Politologie und Publizistik in Berlin. Promotion über das ägyptische Kino. Dokumentarfilme für den SWF. Langjähriger Nahostredakteur der Zeit. Politikberater der Friedrich-Ebert-Stiftung, Publizist und Autor. Zuletzt erschienen: Gold im Gilf Kebir. Roman, Arche-Verlag, 2001 Wir hungern nach dem Tod Woher kommt die Gewalt im Dschihad-Islam? Arche-Verlag 2001.
5. Ernst Stötzner liest «Die Regenhymne» und andere Gedichte von Badr Shakir as-Sayyab. Im Gespräch: Prof. Stefan Wild, Islamwissenschaftler, Bonn
Der Iraker Bader Shakir as-Sayyab (1926-1964) war einer der bedeutendsten Vertreter der Free-Verse Bewegung, die neue Inhalte und Formen in die arabische Dichtung einführte. As-Sayyab setzte entgegen der Tradition Reim und Metrum anders ein, indem er mit «einer variablen Zahl von Versfüßen arbeitete - in bewusstem Gegensatz zu dem, was zu dieser Zeit üblich war. Mit seinem Gedicht War es Liebe? (1946 veröffentlicht) begann eine grundlegende formale und auch inhaltliche Wandlung innerhalb der arabischen Dichtung.» Fahimeh Farsaie
Stefan Wild, geb. 1937 in Leipzig, 1961 Promotion und 1968 Habilitation an der Universität München, 1963-1968 Asssistent am Orientalischen Seminar der Universität Heidelberg, 1968-1973 Direktor des Orient-Instituts der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft in Beirut/Libanon, 1974-1977 Professor an der Universität Amsterdam, seit 1977 Professor für Semitische Sprachen und Islamwissenschaft an der Universität Bonn, seit April 2002 Professor Emeritus daselbst.
© Jonathan Hordle