Asche auf Amerika
Die über vier Jahre stattfindende Reihe «Zur Zukunft des Politischen» entstand am Schauspielhaus Bochum zunächst als unmittelbare Reaktion auf die Anschläge des 11. September 2001. Sie entsprach dem Bedürfnis, das Unfaßbare der Ereignisse rückwirkend zu bearbeiten und das Theater als Forum der öffentlichen Diskussion zu nutzen, in einem Sinne wie es zuletzt vielleicht die gesellschaftlichen Ereignisse von 1968 und 1989 bewirkten. Im Unterschied zu den Publikumsdebatten jener Jahre wurde nun aber am Theater nicht mehr über die Nutzanwendung der Politik für die Kunst und Gesellschaft gestritten. Als zentrales Problem erwies sich vielmehr die Frage, was denn der Begriff des Politischen heute meint und ob er überhaupt noch eine Zukunft hat, bzw. wie er dann unter den Bedingungen von Globalisierung und anderen Fundamentalismen zu retten wäre.
Das Ensemble des Schauspielhauses reagierte auf die erschütternden Bilder aus New York wie die meisten Menschen in diesen Tagen mit dem Wunsch, nicht einfach weiterzumachen im Alltag wie bisher, sondern sich mit den Ereignissen aktiv auseinander zu setzen. Reflexartig wurden die Attentate als Zeichen einer Zeitenwende aufgefasst. Aber welcher Art? So entstand das Bedürfnis, sich parallel zum Arbeits- und Probenprozess mit Experten zu verbünden und am Haus eine öffentliche Debatte in Gang zu setzen. Das Ergebnis war eine langfristig angelegte Ringvorlesung mit der Ruhr-Universität als Partner. Angesichts des Terrorismus und heraufziehenden Golfkrieges ging es darum, den Handlungsraum des Politischen unter diesen Bedingungen zu reflektieren und andere Perspektiven und Assoziationen in die Auseinandersetzung mit den tagesaktuellen Ereignissen einzubringen. Von Seiten der Ruhruniversität wurde die Reihe durch Prof. Ulrike Hass vom Bereich Theaterwissenschaft betreut und über vier Jahre hinweg von vielen Studenten, Künstlern und Theaterbesuchern begleitet.
Die Jahresthemen zwischen 2001 und 2004 lauteten: Asche auf Amerika, Gott gegen Geld, Krieg der Propheten, Kriegstheater.
Pressemitteilung des Bochumer Schauspielhauses
«Start der Reihe «Zur Zukunft des Politischen»:
«Asche auf Amerika.» Die Welt nach dem elften September 2001.
Ringvorlesung am Schauspielhaus Bochum in Zusammenarbeit mit der Ruhr-Universität Bochum WS 2001/2
Konzeption: Thomas Oberender und Ulrike Haß
Ort: Schauspielhaus Bochum / Kammerspiele (alternierend)
Die Attentate am 11. September 2001 brachten nicht nur das World Trade Center zum Einsturz, sie erschütterten auch ein Lebensgefühl, das seit dem Ende des Kalten Krieges mit dem Siegesbewußtsein des liberalen und globalen Kapitalismus und der Empfindung der verbunden war, das Ende der Geschichte bereits erlebt zu haben. Durch die Anschläge auf die Twin Towers wurde der Westen in den Gang der Geschichte zurückgezwungen. Seither suchen Politiker und Intellektuelle, Künstler und Wissenschaftler nach Beschreibungs- und Verhaltensmustern, mit denen sich die Ereignisse seit jenen Anschlägen reflektieren und bewältigen lassen.
Mit Inszenierungen von Stücken wie Martin Mc Donaghs «Der Leutnant von Inishmore» oder Shakespeares «Richard III» kann das Schauspielhaus in unterschiedlicher Weise auf die Ereignisse des politischen Tagesgeschehens reagieren. Dennoch gilt das Bestreben der Theaterkünstler wie auch das Verlangen des Publikums der Suche nach einem Reflexionshorizont, der nicht allein von tagespolitischer Aktualität geprägt ist, sondern weiterführende Aspekte und Orientierungspunkte geben kann. In Zeiten politischer Umbrüche und geschichtlicher Erschütterungen war das Theater daher immer auch ein Ort der Diskussion und reflexiven Auseinandersetzung.
Die Ruhruniversität Bochum ist die größte Universität Deutschlands, an ihr ist nahezu jede wissenschaftlichen Fakultät vertreten, hier studieren täglich 30 000 Studenten. Für ein solches Projekt des Schauspielhauses ist die theaterwissenschaftliche Fakultät an der RUB ein idealer Partner. In den Vorträgen sollen im Hinblick auf die Attentate des 11. September Aspekte der medienvermittelten Theatralität zur Sprache kommen, aber auch die «Krankheit des Islam» untersucht werden oder jene Fragen, die metaphysische Aspekte unserer Gesellschaft betreffen. Mit der Ringvorlesung wird der Versuch unternommen, die unterschiedlichsten Fakultäten und auch die Spezialisten anderer Universitäten in eine gemeinsame Diskussion zu bringen an einem Ort der forschenden Künste und des Experiments zu bringen.
Am 19. November eröffnet Dirk Baecker in den Kammerspielen den ersten Vorlesungs-Zyklus zum Thema «Asche auf Amerika». Der Titel seines Vortrages lautet «Diesseits der Gewalt: Der Krieg als Ritual der Gesellschaft.» In der Kurzbeschreibung seiner Vorlesung heißt es: «Nach wie vor gibt es in der Gesellschaft zweierlei Gewalt: die dargestellte, abschreckende und ritualisierte Gewalt auf der einen Seite und die tatsächliche, ausgeübte und gefährliche Gewalt auf der anderen Seite. Um welche Gewalt handelt es sich bei der gegenwärtigen Auseinandersetzung zwischen den Amerikanern und islamistischen Terroristen? Ist der Krieg noch ein Gewaltritual, das als solches vielleicht sogar heilsame Funktionen erfüllt? Oder haben wir es bereits mit der tatsächlichen, der nicht mehr kontrollierbaren Gewalt zu tun? Der Vortrag nähert sich diesen Fragen mit den Mitteln der soziologischen Theorie der Gesellschaft.» Dirk Baecker lehrt Soziologie an der Universität Witten/Herdecke.
Es folgen die Vorträge «Die Weltgesellschaft hat kein Herz oder Die Barbaren sind wir.» von Eric Alexander Hoffmann (Theaterwissenschaftler an der Ruhr-Universität Bochum) in den Kammerspielen und der Vortrag «Die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Überlegungen zur Politik (in) der Darstellung.» von Nikolaus Müller-Schöll (Literatur- und Theaterwissenschaftler an der J.W.Goethe-Universität Frankfurt a.M.) im großen Haus.
Die Vorlesungen werden im neuen Jahr unter dem Thema «Gott gegen Geld» fortgesetzt.»